Wilhelm Laage
* 16.05.1868 Stellingen, + 03.01.1930 Ulm
Wilhelm Laage über seine Holzschnitte
Niederschrift aus dem Jahre 1917



Auf der Akademie in Karlsruhe um das Jahr 1898 war es, daß mich eine leidenschaftliche Liebe zum Holzschnitt faßte, der viele Jahre hindurch dann meine bevorzugte künstlerische Betätigung wurde. Zaghaft versuchte ich es zuerst mit einem ganz einfachen Umrißholzschnitt: zwei rote Tulpen auf einem gelben Wiesenstück — noch nicht ahnend, welcher gewaltigen Sprache der Holzschnitt fähig sei. Wohl hatte ich mich schon mit der Lithographie beschäftigt; doch diese hatte für mich nicht das Rückgrat und die Seele, die ich von der Graphik verlangte. Den Holzschnitt mit seinen dunklen Massen, der mit seinem »Gesicht« aus dem Chaos ans Licht strebt, schlicht, einfach und doch ungeheuer stark in der Sprache, den brauchte ich, und jubelnd hing ich mich an ihn, als er mir zurief: »Nimm mich hin, ich will dir verhelfen, das auszudrücken, was innerlich in dir tobt und braust.« Wie ein Dämon stand er immer vor mir und trieb mich zu rastloser Arbeit an. Bald erkannte ich seinen Wert für meine Kunst.
Der »Dorfbrand«, der »Frühlingssturm«, »Tod und Leben« waren die ersten Gesichte meiner innerlich befreiten Bildseele.
Es folgten dann ruhigere Arbeiten: Stimmungen und Schilderungen. Auch der einfache Konturenholzschnitt fesselte mich stark mit seiner strengen Enthaltsamkeit und der klaren Sprache seiner Linie. Der »Beyertheimer Friedhof«, »Heute rot, morgen tot« sind Arbeiten in dieser Art, die ich dann noch in einfachen, aber starken Farben mit der Hand kolorierte. Dadurch wurde der Ausdruck eigenartig gesteigert. Es sind nur wenige von diesen Arbeiten, die ich meistens Freunden zum Geschenk machte, vorhanden.
Wenn ich meine ersten Arbeiten ausschließlich mit dem Messer in den Stock geschnitten hatte, der aus Birnbaum- oder Kirschbaum- oder Apfelbaumholz bestand, so vertauschte ich bald das Messer mit dem Hohleisen, das mir für meine Ausdrucksweise willfähriger und passender schien. Die ganze Technik des Holzschnitts überhaupt, Schnitt und Druck, mußte ich selber für mich erfinden, denn ich hatte niemand zur Seite, der mir auch nur einen Wink auf meinen Weg gab. Kein Wunder, daß ich anfangs böses Lehrgeld zu zahlen hatte; besonders das Drucken machte große Schwierigkeiten: Wenn ich es fleißig betrieb, vom Morgen bis zum Abend, waren zum Schluß doch meistens nur wenige gute Drucke entstanden, und ein ganzer Berg von mißratenen Blättern umgab mich und füllte das Zimmer. Nun, das Papier war damals noch zu erschwingen. Wir druckten auf einem alten, schönen Handpapier, das ein Freund von mir für ein paar Pfennige erstanden hatte. Das Drucken meiner Blätter geschah anfangs mit Aquarellfarben, die mit Reisstärke versetzt wurden (japanische Art). Doch diese Art sagte mir bald nicht mehr zu. Das Anfeuchten des Papiers und die wässerigen Farben taugten nicht zu Wirkungen, die mir für den Holzschnitt vorschwebten. Ich griff daher später zur Firnisfarbe, die ich mir nach meinen Angaben herstellen ließ, und diese Farbe benutze ich heute noch. Sie ermöglicht mir, die stärksten Tonunterschiede zu geben; steht auch, was matten Schmelz betrifft, der Aquarellfarbe in nichts nach, und ihre Haltbarkeit ist unbegrenzt. Daß sich das wundervolle Japanpapier oder Chinapapier am besten für den Druck eignet, ist selbstverständlich; doch auch ein schönes Büttenpapier hat seine eigenen Reize.
Immer mehr suchte ich mich bei meiner Arbeit von dem Gedanken zu befreien, der Holzschnitt sei dazu da, eine Zeichnung, die man vorher auf den Holzstock übertragen hat, herauszuschneiden, um somit eine bequeme und billige Vervielfältigung der Zeichnung zu erhalten. Im Gegenteil: Der Holzschnitt muß seinen ganz selbständigen Charakter haben, der in seinem Schnitt liegt und deshalb in keiner anderen Technik ausgedrückt werden kann. Der Schnitt ist es, worin seine ganze Seele lodert. Von dem zartesten Hauch in »Blume der Nacht« bis zum stärksten Klageton in »Karfreitag« oder »Salome« lassen sich alle Töne anschlagen.
Besonderen Wert lege ich darauf, für jeden geplanten Holzschnitt das rechte Holz zu wählen. Für die Farb- und Tonplatten benutze ich gern ein Stück Holz, dessen Struktur im Charakter zu den darzustellenden Farbflächen paßt. Ich habe wohl fast alle Holzarten probiert, von den härtesten bis zu den weichsten. Je reizvoller die Struktur des Holzes beim Drucken zum Vorschein kommt, je luftiger der Druck, desto lieber ist er mir; deshalb ist mir auch die tote Fläche des Linoleums unsympathisch. In unserer Waschküche in Betzingen stand lange Zeit eine alte, verwaschene Türfüllung, die von den Wäscherinnen benutzt wurde. Sie kam mir eines Tages unter die Augen und ich beschäftigte mich innerlich lange damit, wie ich diese interessante Platte meinem Holzschnitt dienstbar machen könnte. Besonders reizte mich die eigenartige, ausgesprochene Maserung der Füllung, die von unten aufsteigend in mächtigen, breiten, schön bewegten Linien nach oben sanft verlief und dann fast ganz in der weichen Fläche verschwand. In diese Füllung, so wie sie war, schnitt ich mein Blatt »Mann und Weib«. Im Jahre 1913 versuchte ich meinen ersten Bildnisholzschnitt »Junges Mädchen«. Die ganze Schönheit des Schnittes sollte darin zur Geltung kommen und mitwirken zur Belebung der Gestalt und ihrer Seele. Ich wählte dazu zum erstenmal die schwarze Platte, d.h., ich schwärzte sie ein, bevor ich mit der Arbeit begann. Aus diesem Chaos, aus dem Dunkel heraus entwickelte ich nun meine Arbeit, um die ganze Schönheit des Schnittes gleich klar vor Augen zu haben und durch den Schnitt auch die Seele meiner Mädchengestalt zu bilden; denn es galt für mich hier nicht, eine vorher auf den Stock übertragene saubere Zeichnung auszuschneiden. Das weiche lneinanderfließen von Brust und Schultern, die ganze Haltung der Gestalt schien mir gelungen.

Durch den Erfolg angeregt, versuchte ich nun weitere Bildnisse auf diese Art zu schneiden, immer aus dem dunklen Grund heraus, unmittelbar vor der Natur. Auch Landschaften sind so entstanden. Je bewegter ein nachzubildender Gegenstand ist ob Mensch, Tier oder Landschaft — , je mehr sich sein Innenleben in der ganzen Gestalt widerspiegelt und sie lebhaft modelt, je abwechslungsreicher die Flächen aneinander- und ineinandergreifen, je mehr in einem Gesicht »sichtbar« wird — ich meine bei Gott nicht die Runzeln und Falten — , desto besser und interessanter ist der Holzschnitt danach zu gestalten. Das Schwerste wollte ich im Bildnis wagen: von innen heraus wollte ich den Menschen gestalten, alle Flächen und Formen sollten nur dazu dienen, dies Schwerste darin auszudrücken. Daß ich nun, um dieses Ziel zu erreichen, mit der üblichen Form brechen mußte, weil sie mir bei der Belebung des Holzschnittes behindernd im Wege stand, weil sie ihre Sprache redete statt meiner, ist wohl verständlich.
Durch einen Schweizer Freund veranlaßt, machte ich 1913 eine Reise nach Graubünden. Die Berge und die Täler, die Matten, Wasserfälle und Quellen, die Gletscher, die in die Wolken ragen oder geheimnisvoll von diesen umhüllt sind, zogen mich an. Die hehre Gottheit in ihrem verklärten Glanze ruht über allen diesen gewaltigen Zeugen der Schöpfung. Eine ungeheure Tragik und Allgewalt spricht aus den Formen der Berge. Die engen Schluchten mit ihren tosenden Wassern, die lichten Lärchenwälder, die schwarzen, schroff aufsteigenden Felsmassen mit ihren vom Schnee verklärten Häuptern und die einsamen Paßstraßen sind überreich an Eindrücken. Diese in der Kunst wiederzugeben, dazu ist der Holzschnitt wie geschaffen.
Trotzdem ich Nordländer von Geburt bin und die Schweiz vorher nicht kannte, ging ich mit der größten Begeisterung ans Werk. Im Sommer 1914 war ich wiederum in Graubünden, um mein Studium fortzusetzen und in meiner Kunst den stärksten Ausdruck zu finden für die große Natur der Gebirgswelt. Doch lange sollte die Freude nicht dauern: der Krieg rief mich heim und verschloß mir meine neue Welt für lange Jahre.
Einige größere Farbenholzschnitte mit Blumen und Früchten entstanden in den Jahren 1915—1916. Die Grund- sowie die Farbplatten gestaltete und schnitt ich gleich vor der Natur. Voraussetzung war für mich beim Schneiden und Drucken dieser farbigen Arbeiten, daß der Holzschnittcharakter unbedingt durchscheinen und gewahrt bleiben mußte, so daß eine Verwechslung mit farbigen Arbeiten einer andern Graphik nicht möglich war. Es muß also die schwarze Grundplatte immer vorherrschend sein, in die sich dann die Farb- oder Tonplatten zur lebhafteren Darstellung des Motivs einfügen. Das Interesse für meine Holzschnitte wurde mit der Zeit lebhafter, obgleich sich das Publikum lange abweisend gegen meine »Schwarzkunst« verhielt. Ich lasse nicht ab, mein Werk auszubauen, an dem ich seit zwanzig Jahren arbeite. Ich will es vertiefen und die ganze Stärke des Holzschnittes meinen Arbeiten dienstbar machen. Möge meine Kraft dazu ausreichen!

Aus: Alfred Hagenlocher -
"Wilhelm Laage, Das graphische Werk"
Mit freundlicher Genehmigung von Frau Dr. Wagner

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